Kein Unterhalt aus Millionenerbe
Kein Unterhalt aus Millionenerbe
Kein Unterhalt aus Millionenerbe
BGE 147 III 393
1. Ausgangslage
In BGE 147 III 393 hatte das Bundesgericht zu entscheiden, ob es dem Ehemann zumutbar sei, zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen an seine Ehefrau und die beiden Kinder auf sein geerbtes Vermögen von rund 4,2 Mio. zurückzugreifen. Unbestritten war, dass die Familie während der letzten drei Jahre des Zusammenlebens knapp CHF 16'000 pro Monat für den Lebensunterhalt ausgegeben hatte. Bis zur Trennung konnten die Ausgaben der Familie mit dem Einkommen des Ehemannes bestritten werden, ein Rückgriff auf das Vermögen war nicht nötig. Nach der Trennung verlor er seine gut bezahlte Stelle, fand in der Folge keine mehr und wurde ausgesteuert. Das Luzerner Kantonsgericht verpflichtete den Ehemann trotz fehlendem Einkommen zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen von phasenweise mehr als CHF 9'000 monatlich an Frau und Kinder. Zur Begründung führte es aus, dass es dem Ehemann zumutbar sei, sein geerbtes Vermögen anzuzehren.
Das Bundesgericht übt harsche Kritik am vorinstanzlichen Entscheid. Das Luzerner Kantonsgericht widersetzte sich der ständigen und klaren Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach geerbtes Geld grundsätzlich nicht für die Sicherstellung des Unterhalts berücksichtigt werden dürfe. Die Vorinstanz liefere keine nachvollziehbaren Gründe, weshalb von diesem Grundsatz im vorliegenden Fall abgewichen werden könne und verfalle deshalb in Willkür. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Ehemannes gut, hebt den kantonalen Entscheid auf und weist das Verfahren zur Neufestsetzung der Unterhaltsbeiträge – diesmal ohne Berücksichtigung des Vermögens des Ehemannes – an die Vorinstanz zurück.
Der Entscheid gibt Anlass, die bis anhin ergangene bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Vermögensverzehr zu beleuchten und der noch offenen Frage nachzugehen, wann ein Ausnahmefall vorliegt, bei dem für die Sicherstellung des Unterhalts auf Erbvermögen zurückgegriffen werden darf.
2. Voraussetzungen Vermögensverzehr
Das Bundesgericht unterscheidet grundsätzlich zwei Konstellationen, wann zur Deckung des Unterhalts auf das Vermögen zurückgegriffen werden darf: (1) Wenn die Eheleute ihren Lebensstandard bereits während der Ehe aus ihrem Vermögen finanziert haben; (2) Wenn ein Vermögensverzehr zumutbar erscheint, was wiederum anhand verschiedener Kriterien zu beurteilen ist: Funktion und Zusammensetzung sowie Bedeutung des anzuzehrenden Vermögens, Ausmass des Vermögensverzehrs sowohl hinsichtlich Umfang als auch Dauer und das Verhalten, das zum Wegfall/zur Reduktion des Einkommens geführt hat. Es spielt keine Rolle, ob ehelicher, nachehelicher oder Kindsunterhalt geschuldet ist, ebenfalls unbeachtlich ist, ob es sich beim anzuzehrenden Vermögen um Errungenschafts- oder Eigengutsvermögen handelt.
3. (Kein) Rückgriff auf geerbtes Vermögen
Das Bundesgericht hält fest, dass durch Erbanfall erworbenes Vermögen grundsätzlich nicht für die Sicherstellung des Unterhalts beigezogen werden darf. Es liege an derjenigen Partei, welche von diesem Grundsatz abweichen wolle, nachzuweisen, dass im konkreten Fall ein Vermögensverzehr aus geerbtem Vermögen zumutbar sei. Zur Begründung dieses Grundsatzes verweist das Bundesgericht auf seinen früheren Entscheid 5A_529/2007 vom 28. April 2008. In dessen Erwägung 2.4 begründet es die Unterscheidung zwischen Erb- und übrigem Vermögen mit der spezifischen Funktion von Erbvermögen: Erbvermögen müsse deshalb unberücksichtigt bleiben, weil es weder für den Verbrauch noch für die Vorsorge bestimmt sei.
Die Begründung ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, Erbvermögen wird regelmässig für grössere Investitionen, wie den Erwerb einer Liegenschaft verwendet oder es wird für die Weitergabe an die nächste Generation angelegt und nur die Erträge werden verbraucht. Ist dies aber nicht auch regelmässig mit übrigem Vermögen so? Gemäss Bundesgericht ist die «Funktion» des Vermögens bei der allgemeinen Prüfung der Zumutbarkeit des Vermögensverzehrs ohnehin ein Prüfkriterium. Meines Erachtens wäre es daher konsequenter, Erbvermögen nicht per se vom Verzehr auszuschliessen und nur in Ausnahmefällen zuzulassen. Im Rahmen der oberhalb dargelegten Zumutbarkeitskriterien könnte der Umstand, dass es sich um Erbsvermögen handelt und diesem deshalb im konkreten Fall eine andere Funktion als dem übrigen Vermögen zukommt, angemessen berücksichtigt werden.
Falls mit dem Bundesgericht davon ausgegangen wird, dass das Erbvermögen nur in Ausnahmefällen angezehrt werden darf, stellt sich die Frage, wann ein solcher Ausnahmefall vorliegt. Das Bundesgericht lässt die Frage offen und verweist auf Hausheer/Brunner 1 und Maier 2. Die genannten Autoren sprechen sich dafür aus, dass ein Verzehr von Erbschaftsvermögen mindestens dann gerechtfertigt sei, wenn die Ehegatten ihren Lebensunterhalt bereits während des Zusammenlebens ganz oder teilweise aus Erbvermögen finanziert haben. Dem ist zuzustimmen.
Meines Erachtens muss schliesslich zwischen nachehelichem Unterhalt und Kindesunterhalt unterschieden werden. Dass einem Ehegatten nicht ohne Weiteres zugemutet werden kann, den anderen über die Scheidung hinaus durch Verzehr seines Erbvermögens zu unterstützen, ist nachvollziehbar. Können die Kinder nach der Trennung ihren gebührenden Bedarf jedoch nicht mehr decken, wohingegen der vermögende Elternteil im Luxus lebt, muss vom Grundsatz der Nichtberücksichtigung von Erbvermögen abgewichen und die Zumutbarkeit rascher bejaht werden.
4. Teilurteil im Scheidungspunkt
Die zweite Niederlage erlitt die Ehefrau gleichentags mit Entscheid 5A_679/2020. Das Bundesgericht bestätigte das vorinstanzliche Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 10. Juli 2020, mit welchem das Kantonsgericht ein Teilurteil im Scheidungspunkt erlassen und die Ehe der Parteien geschieden hatte.
Seit das Bundesgericht mit BGE 144 III 298 im Mai 2018 erstmals entschieden hat, dass gestützt auf das materielle Recht (Art. 114 ZGB i.V.m. Art. 283 Abs. 2 ZPO) Anspruch auf ein Teilurteil im Scheidungspunkt vor Abschluss des Verfahrens über die Scheidungsfolgen besteht, hat es seine Rechtsprechung auch in diesem Entscheid bestätigt. Der Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils schliesst ein Teilurteil im Scheidungspunkt nicht aus, wenn das Interesse des einen Ehegatten an einem Teilurteil den Interessen des anderen an einem gleichzeitigen Entscheid über Scheidung und Scheidungsnebenfolgen überwiegt. Im vorliegenden Fall hält das Bundesgericht ausdrücklich fest, dass das Interesse am Wegfall der Erbenstellung des einen Ehegatte und dasjenige an der Beibehaltung derselben für sich allein nicht zu überwiegen vermag. Es stützt jedoch die Feststellung der Vorinstanz, wonach der Ehemann vorliegend sein Interesse an seiner Nachlassplanung nachgewiesen habe, was weiter gehe als das blosse Interesse, seine inzwischen ungeliebte Ehegattin als potenzielle Erbin loszuwerden.
Nebst dem, dass der Ehemann die 4,2 Mio. Erbschaft nicht für den Unterhalt seiner Familie anzehren muss, ist seine frühere Ehefrau mit dem Teilurteil im Scheidungspunkt nun ab sofort auch erbrechtlich davon ausgeschlossen.