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Recht auf Bezeichnung der Betreuung als alternierende Obhut und Recht auf halbe Erziehungsgutschrift

Recht auf Bezeichnung der Betreuung als alternierende Obhut und Recht auf halbe Erziehungsgutschrift

Rechtsprechung
Ehescheidung
Kindesrecht (inkl. Kindesschutz)

Recht auf Bezeichnung der Betreuung als alternierende Obhut und Recht auf halbe Erziehungsgutschrift

BGE 147 III 121

I. Sachverhalt

Die Eheleute haben zwei Kinder, Jahrgang 2008 und 2009. Am 20. Mai 2019 wurde die Ehe geschieden. Die Kinder wurden unter die gemeinsame elterliche Sorge, aber die alleinige Obhut der Mutter gestellt. Der Vater erhielt ein ausgedehntes Besuchsrecht: jedes zweite Wochenende von Freitag, 19:00 Uhr, bis Montag, 8:00 Uhr, sowie jeden Dienstag bis Mittwoch und jeden Donnerstag bis Freitag, jeweils 19:00 Uhr bis 8:00 Uhr. Die AHV-Erziehungsgutschriften wurden der Mutter allein angerechnet.

Die Berufung des Vaters betreffend Obhut, Betreuungsanteile und Erziehungsgutschriften wies das Kantonsgericht Freiburg am 10. Januar 2020 ab. Dagegen gelangt der Vater ans Bundesgericht. Er beantragt die Anordnung der alternierenden Obhut, die Kinder jede zweite Woche während eines weiteren Wochentags zu betreuen sowie die hälftige Anrechnung der Erziehungsgutschriften.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

II. Erwägungen

1. Alternierende Obhut

Das Bundesgericht erwägt zunächst, dass sich der Begriff der Obhut gewandelt habe. Bis zur Revision des Kindesrechts am 1. Januar 2014 bedeutete Obhut einerseits das Recht, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen, und zeigte andererseits die faktische Obhut im Sinne des tatsächlichen Zusammenlebens in häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind an (E. 3.2.2). Seit der Revision ist letzteres Recht, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen, Teil der elterlichen Sorge (Art. 301a Abs. 1 ZGB). Der Begriff der Obhut beschränke sich daher heute auf die faktische Obhut, mithin die Befugnis zur täglichen Betreuung des Kinds und die Ausübung der Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dessen Pflege und Erziehung. Da die Eltern die Kinder im vorliegenden Fall ungefähr gleichwertig betreuten, war für das Bundesgericht nicht ersichtlich, was gegen die Anordnung bzw. die Bezeichnung der vorliegenden Betreuungsform als alternierende Obhut sprechen würde (3.2.3). Es verwarf damit den Einwand der Vorinstanz, dass der Vater kein Interesse an der Bezeichnung als alternierende Obhut belegt habe und es ihm wohl ausschliesslich darum ginge, wie die Betreuungssituation zu bezeichnen sei. Das Vorbringen des Vaters jedoch, die alternierende Obhut schaffe Klarheit bezüglich der Bedeutung der Betreuungsanteile beider Eltern und stelle die Beziehung beider Eltern zu den Kindern auf eine dauerhafte und gleichberechtigte Grundlage, scheint es zu teilen (E. 3.2.1). Der Vater müsse kein besonderes Interesse geltend machen, sehe Art. 298 Abs. 2ter ZGB den Begriff der alternierenden Obhut doch explizit vor. Sein Interesse werde auch nicht durch die bereits faktisch gelebte hälftige Betreuung oder die fehlende Definition der alternierenden Obhut geschmälert. Das Bundesgericht schickt die Sache zur entsprechenden Korrektur an die Vorinstanz zurück und ergänzt, dass auch der Wohnsitz der Kinder im Dispositiv festgehalten werden müsse. Er müsse bei einer Person festgelegt werden, vorliegend der Mutter, nicht bloss in einen bestimmtes Gemeindegebiet, wie dies der Vater beantragt hatte (E. 3.2.3).

2. AHV Erziehungsgutschrift

Ferner hatte das Bundesgericht zu entscheiden, wie und wem die Erziehungsgutschriften der AHV angerechnet werden. Es führte aus, dass die Erziehungsgutschriften gemäss Art. 52fbis Abs. 2 Satz 2 AHVV den Eltern hälftig angerechnet werden, wenn sie das Kind in etwa zu gleichen Teilen betreuen. Dem Gericht stünde dabei kein Ermessen zu. Von der Vorschrift könne nur in gegenseitigem Einvernehmen abgewichen werden. Die Vorschrift setze keine genau hälftige Verteilung der Betreuung voraus. Die Voraussetzung sei vielmehr auch erfüllt, wenn beide Eltern tatsächlich einen wesentlichen Teil der Betreuung übernommen hätten. Allerdings habe das Gericht auch den Zweck der Erziehungsgutschriften zu beachten. Dieser liege darin, den Eltern trotz Kinderbetreuung den Aufbau einer Altersvorsorge zu ermöglichen. Gehe es darum, zu beurteilen, ob beide Eltern ähnlich viel oder einer viel mehr betreut, könne das Gericht daher auch darauf abstellen, inwiefern die Betreuungsaufgabe einen Elternteil an der Erwerbstätigkeit bzw. den Aufbau einer Altersvorsorge hindere. Im vorliegenden Fall sei die Mutter durch die Betreuung nicht in ihrer Erwerbstätigkeit eingeschränkt, weshalb eine Abweichung vom gesetzlichen Normalfall der hälftigen Teilung bei hälftiger Betreuung nicht abzuweichen sei (E. 3.4).

iusNet FamR 27.08.2021